Erinnerung an Robert Silve (ganz links), den Initiator der "Train Fantôme"-Geschichtsforschung in unserer Partnerstadt Sorgues: 2002 wanderten erstmals Schülerinnen und Schüler der Wettenbergschule / Gesamtschule Gleiberger Land den 1944er Weg der Deportierten von Roquemaure nach Sorgues, führten sehr gute Zeitzeugengespräche mit Lager-Überlebenden. Mit abgebildet sind Altbürgermeister Günter Feußner (2.v.l.), der FAZ-Journalist und "Geisterzug in den Tod"-Autor Jürg Altwegg (3.v.l.), die Lehrer Gertrud Ritscherle, Gerhard Kohler und Mirka Pesek, Marc Brafman (), Conchita Ramos und Raymond Champel (v.l.n.r. in der Mitte), Comité-Vorsitzende Marie-Dominique Rampal (2.v.r.) und die Wettenberger Kommunalpolitikerin Helga Meyer-Jaeger (, ganz rechts).

Wir trauern um

Robert Silve

Unser langjängjähriger Wegbegleiter und Freund Robert Silve aus Sorgues ist am vergangenen Freitag, 22. Juli, im Alter von 88 Jahren verstorben. Unser ganzes Mitgefühl gilt seiner Frau Edith, der wir bereits fernmündlich Kondolenzgrüße der Deutsch-Französischen Gesellschaft übermittelt haben, und der Familie. Robert Silve hat einen festen Platz in unserer gemeinsamen Geschichte; wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Als er in den beruflichen Ruhestand ging, erinnerte sich Robert Silve gemeinsam mit seinem damaligen Freund Charles Teissier an den 18. August 1944. Als Jugendliche waren sie wenige Tage vor Befreiung der von Deutschen besetzten Provence durch französische und amerikanische Truppen Zeugen geworden jenes traurigen Geschehens, das sich in ihrer Heimatstadt abspielte. Etwa 700 ausgemergelte Menschen - Gefangene aus vieler Herrn Länder - zogen, von Roquemaure auf der anderen Rhôneseite kommend, durch den Ort zum Bahnhof, wo die Gestapo einen neuen Deportiertenzug zusammenstellen ließ. Einen der letzten, der die Vernichtungslager in Deutschland erreichen sollte.

Robert Silve im Gespräch mit Marie-Do Rampal

Robert Silve begann in den späten 1980er Jahren eine Syssiphusarbeit, hatte hierbei von Anfang an seine Frau Edith an seiner Seite: Durch lokale und nationale Aufrufe suchte er nach Zeugen des Geschehens und - viel wichtiger - überlebenden Beteiligten bzw. deren Angehörigen. 50 Berichte waren es zunächst, die dann in das Buch "Le Train Fantôme - Toulouse, Bordeaux, Sorgues, Dachau" einflossen. Silves Initiative ist zudem Initialzündung für die Gründung des Freundeskreises der "Train Fantôme"-Deportierten, und auf deren Drängen hin wird 1991 in Sorgues am Bahnhof - unmittelbar neben der Place du Wettenberg - ein Denkmal errichtet. Dort findet seither immer am Jahrestag ein Treffen der Überlebenden und ihrer Angehörigen statt.

Das genannte Buch der Études Sorguaises wiederum weckte 1996/97 das Wettenberger Interesse am historischen Geschehen in der Partnerstadt, von dem man im Gleiberger Land bis dahin keine Kenntnis gehabt hatte. Wir als Partnerschaftsverein nahmen Kontakt auf mit dem Verlag des Buches, kamen durch Vermittlung unseres Freundes Fernand Marin, des Ehrenbürgermeisters von Sorgues, mit Robert Silve in Kontakt - und von da an entwickelte sich das "Train Fantôme"-Projekt zügig nach vorn: Es sollte - so unser Ziel - fächerübergreifend in den Unterricht und das Profil der Wettenbergschule einfließen.

Der Verlauf dieser Erfolgsgeschichte ist hinlänglich bekannt: mehrere Unterrichtsprojekte (2002, 2005, 2009), die Teilnahme der Schüler an der Gedenkfeier zum 60-Jährigen des Kriegsendes in Sorgues, mehrere Publikationen (LINK www.deutschfranzosen.de), Wettbewerbspreise der Gesamtschule u.a. der Robert-Bosch-Stiftung, Ausstellungen, Einladung in den Französischen Senat nach Paris.

Die bedeutendste Folge der Initiative von Robert und Edith Silve: Unsere Partnerschaft mit Sorgues hat einen historisch eigenständigen Unterbau bekommen. Unser Freund Jürg Altwegg aus Genf, der Autor von "Geisterzug in den Tod", schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darüber. "Seit die Wettenberger von der Geschichte des 'Geisterzuges' Kenntnis haben, haben sie dem 'Train fantôme' eine neue dimension und den 'Jumelages' zwischen den Städten einen neuen Sinn verliehen. Sehnlichst waren die ersten Deutschen, die zunächst keiner akzeptiert hätte, zu den Zeremonien erwartet worden. Die Jugendlichen aus Wettenberg haben mit ihrem engagierten, exemplarischen Arbeiten gezeigt, dass der Stafettenstab des Erinnerns in der neuen Generation bestens aufgehoben ist."

Fakt ist: Ohne Robert und Edith Silve hätte es all das nicht gegeben, wäre unser Leben ärmer!

Apéro im Hause Silve nach der Zeremonie zum 60-jährigen des "Train Fantôme"
(Beschreibung im Text des Nachrufs.)

Es waren unzählige Begegnung, die wir mit Robert Silve hatten; offizielle wie private. Zu den ganz persönlichen Hochämtern zählten zweifelsohne die privaten Runden, wie sie unser Freund Jürg Altwegg bereits 2001/02 in der FAZ beschrieben hatte. Eine Einladung zum Apéro bei Robert und Edith - das war wie ein Ritterschlag.

Daher hat das obige Foto so viel Aussagekraft. In der Runde dabei waren - neben den Gastgebern (3. und 4. von links) Jürg Altwegg (links vorne), Amical-Vorsitzender Dr. Joseph Nitti (, 2.v.r.), unsere Vorstandsmitglieder Monika Graulich (2.v.l.) und Norbert Schmidt (r.), die Witwe des Dachau-Überlebenden Marc Brafman (Mitte) und unsere unvergessene Helga Meyer-Jaeger (,links daneben).

Was Robert Silve und dessen Ehefrau Edith für die Partnerschaft zwischen Wettenberg und Sorgues sowie für die Wettenbergschule / Gesamtschule Gleiberger Land geleistet hat, ist in Gold nicht aufzuwiegen.

Wir werden während des Sorgues-Besuches von Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule im Oktober 2011 am Deportierten-Denkmal eine Gedenkminute für Robert Silve einlegen.

Norbert Schmidt, Vorsitzender




Robert Silve - ein beharrlicher Spurensucher

Wie ein unerschöpflicher Quell - so wusste Robert zu erzählen von seinem Abscheu gegen Gewalt, von seiner Liebe zu Mitmenschen, von seinem Mit-Empfinden mit Opfern. Sympathisch war sein allzeit spürbarer Humor, seine trockenen Anmerkungen; all das immer mit Respekt und französischer Leichtigkeit. Wir lernten von seiner Kunst, Dinge auf den Punkt zu bringen - und weiter zu denken.

In der Deutsch-Französischen Partnerschaft Wettenberg - Sorgues war Robert bereits aktiv, incl. zwei Besuchen in Wettenberg, als durch die Projekte der Schule die eigentliche Nachhaltigkeit angeschoben wurde.

In der Spurensuche zu den Menschen, die die Deutschen im Geisterzug, dem Train Fantôme vom Sommer 1944, zusammen gepfercht hatten, einem ungewissen Los entgegen, hatte er seinen Lebensinhalt gefunden. Es waren drei Fragen, die ihn nie losgelassen hatten, seit er von dem Geschehen in seiner Heimatgemeinde Sorgues erfahren hatte, im August 1944. Naheliegende Fragen: wer waren diese Menschen? woher kamen sie? was wurde aus ihnen?

Als er Zeit und Muße hatte, im Ruhestand, wurden sie sinnstiftend für seine jahre-, ja jahrzehntelange Spurensuche und Kontaktpflege. Je mehr Opfer und deren Angehörige, oder Zeitzeugen sich an ihn wandten, umso mehr wuchs sein Bestreben, dass das Geschehen dem Vergessen entrissen werden und daraus Lehren für die Zukunft entstehen sollten. Zu Beginn kamen um die hundert Personen jährlich am 18. August in Sorgues am Denkmal zusammen: Überlebende der deutschen KZ, dem Zug Entflohene, Zeitzeugen, mit jeweils Angehörigen. Für etliche der noch Lebenden ist die Reise nach Sorgues beschwerlich geworden, zu beschwerlich für manche. Roberts Ziele als "Nicht-Betroffener" im Geschehen des Train Fantôme kristallisierte sich bald heraus: er wollte die ehemaligen Internierten, die Opfer, zu Wort kommen lassen. Dafür musste er zunächst diese Mitteilungen bzw. Berichte der Internierten bzw. deren Angehörige sammeln und mit anderen zusammen zu einem Buch zusammen stellen. Er wollte in Sorgues einen Ort des Gedenkens schaffen, der jährlich die Betroffenen zusammen führen sollte. Das ist mit dem Denkmal gelungen. Mit der Gründung des Freundeskreises der Deportierten war eine ständige Anlaufstelle gefunden, die ohne Robert und Edith kaum vorstellbar gewesen wäre. Er wollte Erinnerungszeichen an allen Orten des Train Fantôme auf ihrem Weg nach Dachau initiieren - dabei hat er viel Gedenkarbeit an gestoßen.

Wie viele Menschen mögen wohl in den vergangenen zwei Jahrzehnten bei Silves angerufen haben, Briefe geschickt haben? An dieser Stelle sei unbedingt erwähnt sein Interesse an Kontakten mit jungen Menschen, nie ließ er sich lange bitten, wenn es darum ging, zu schildern, wie das damals war. Immer waren in seinen Schilderungen die Leiden der Opfer vordringlich. Begegnungen und Gespräche mit jungen Deutschen waren für ihn jedesmal tief bewegende Momente, sozusagen Höhepunkt seiner ihm eigenen Friedensarbeit. Das waren seit dem Jahr 2002 die Besuche und Projekte der Schülerinnen und Schülern der (damaligen) Wettenbergschule, die für ihn geradewegs aus der deutsch-französischen Partnerschaft erwuchsen. Gleichermaßen war er auch Gesprächspartner für die französischen Schüler, die bei dem jährlichen Wettbewerb zum Thema Deportation oft in Sorgues Station machten auf Weg zur Gedenkstätte Mauthausen. Neben bereits vertrauten Menschen traf dies auch zu für die Spurensucherinnen aus Bayern, die 2004 nach Sorgues kamen, um Gedenkblätter für die in Dachau Internierten und Ermordeten aus dem Train Fantôme für das Gedächtnisbuch in der Versöhnungskirche der Gedenkstätte Dachau zu erarbeiten. Robert hatte für die Projektteilnehmerinnen Kontakte zu Überlebenden bzw. Angehörigen her gestellt Robert und Edith nahmen auf Einladung gerne zweimal die Reise nach Dachau auf sich. Erstmals im Jahr 2006, um an der Präsentation der "Gedächtnisblätter von Internierten aus 'Le Train Fantôme'" teil zu nehmen. Zum zweiten Mal reiste das Ehepaar nach Dachau, um an der Eröffnung der internationalen Ausstellung zu Internierten, für die bereits Gedächtnisblätter vorlagen, teil zu nehmen. In der Ausstellung sind drei Lebenswege von Internierten aus "Le Train Fantôme" zu sehen. Robert gelang es kurzfristig, diese Ausstellung - französische Version - nach Sorgues zu holen. (Die Ausstellung wird in sechs Sprachversionen präsentiert, in deutsch war sie 2008 auch in Gießen zu sehen).

Robert Silve, Zeitzeuge des Zweiten Weltkrieges, war "Europäer der Tat", er lebte seine Friedensüberzeugung, ähnlich wie Joseph Nitti, ehemaliger Präsident des Freundeskreis der Deportierten des Geisterzuges. Roberts Freunde waren Menschen, die seinen Wunsch für ein friedliches Zusammenleben teilten, egal welcher Sprache, welcher Herkunft, welchen Aussehens. Diese Menschen waren immer willkommen in seinem Haus, auf der Terrasse. Wir, seine Freunde und Freundinnen, teilen die Freude, jemanden wie ihn gekannt zu haben. Wir teilen die Trauer um seinen Tod.


Monika Graulich


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